go to content

Menu

Turngeschichte

Keine Stadt, kaum ein Dorf ohne Turnverein

Der Verein ist die Keimzelle der deutschen Turn- und Sportbewegung. Bestaunt und bespottet, bilden die Vereine in Deutschland eine unübersehbare Landschaft. Sie leisten einen unschätzbaren Wert für das Wohlbefinden und den sozialen Zusammenhalt der Bevölkerung, um ihre Verdienste einmal auf den einfachsten Nenner zu bringen. Schließlich handelt es sich um freiwillige Zusammenschlüsse, um Gesinnungs- und Interessensgemeinschaften, die sich selbst verwalten und bestimmen. Ohne den Verein geht nichts. Die gewaltige Turn- und Sportbewegung mit ihren 18 Millionen organisierten Mitgliedern ist ohne Verein nicht denkbar. Daran ändern auch kommerzielle und kommunale Angebote nichts.

Der Deutsche Turner-Bund weiß die ältesten und zugleich die modernsten Vereine in seinen Reihen. Wie ein Netz überzieht die Vereinslandschaft die Bundesrepublik Deutschland. Keine Stadt, kaum ein Dorf ohne einen Turnverein, der oft als einziger Verein zu den wichtigen Kommunikationsmöglichkeiten zählt, der als der Motor für die geselligen und gesundheitlichen Aspekte vor Ort gilt.Kein Verband verfügt über so starke geschichtliche Wurzeln, schaut auf eine mitunter irritierende Vergangenheit zurück, weiß sich permanent von Tradition umgeben und präsentiert sich zugleich so gegenwartsbezogen, so offen für alle aktuellen Entwicklungen wie der DTB.

Traditionen können eine große Stütze sein, aber auch als Belastung empfunden werden. Die hohen pädagogischen Ziele und die schrillen nationalen Töne haben der Turnbewegung nicht nur in den Anfängen ihrer Geschichte viele Freunde, aber auch viele Feinde eingebracht.

Turnvater Jahn

1811 errichtete Friedrich Ludwig Jahn(1778-1852) den ersten öffentlichen Turnplatz auf der Hasenheide in Berlin. Dort erteilte er den Jünglingen nicht nur Leibesertüchtigungen, sondern vor allem ging es um eine Wehrhaftigkeit, um sich aktiv für die Einheit und Freiheit des Vaterlandes einzusetzen. Neu an der Idee war, daß sich diese Bewegung über den Standesdünkel erhob und für alle Bevölkerungsschichten offen war.

Nach einer "Urkunde der ganzen Turngemeinschaft" von 1816 sollte unter der Oberaufsicht Jahns und des Berliner Turnrats eine einheitliche gesamtdeutsche Turnorganisation aufgebaut werden, als deren Hauptstütze die Burschenschaften angesehen wurde. Die Einheit Deutschlands, die auf politischem Wege nicht erreicht worden war, sollte von den sogenannten "Burschenturnern an den Universitäten vorbereitet werden.

Als herausragendes Ereignis in dieser Zeit muß das legendäre Wartburgfest im Oktober 1817 genannt werden, welches einen besonderen radikalen Akzent durch die Nachfeier einiger weniger zurückgebliebener Berliner Turner, Verehrer Jahns, erhielt. Unter Schmährufen wurden nicht nur Symbole absolutistischer Fürstenmacht, sondern auch "volksfremde Schriften", sogenannte "Schandschriften des Vaterlandes", darunter auch Literatur jüdischer Schriftsteller verbrannt. Der sich hierin bekundende Geist der Intoleranz und nationalistischer Verblendung war auch Jahn nicht fremd, dessen Verhältnis zur Staatsmacht zunehmend gespannter wurde. Die starke Politisierung und Radikalisierung der Turner wurde durch die "Karlsbader Beschlüsse", 1820 von dem österreichischem Staatskanzler Fürst Metternich verhängt, drastisch zurückgedrängt. Eine Turnsperre und Auflösung der Burschenschaften wurde angeordnet. Zu denen, die als "Demagogen" verfolgt wurden, gehörte auch Friedrich Ludwig Jahn, der verhaftet, angeklagt und lange Jahre unter Hausarrest gestellt wurde.

Doch trotz der mit dem System Metternich verbundenen polizeistaatlichen Maßnahmen, trotz obrigkeitlicher Bevormundung konnten in den Jahren des "Vormärz" zwischen den Jahren 1815 und 1848 die freiheitlichen Ideen nicht völlig unterdrückt werden aufgrund der zunehmenden Bedeutung der wirtschaftlichen Kraft des Bürgertums.

Als der preussische König Friedrich Wilhelm IV. 1842 Leibeserziehung als einen notwendigen und unentbehrlichen Teil der männlichen Erziehung anerkannte und sie in den Kreis der Volkserziehungsmittel aufnahm, da wurde die Turnsperre in Preußen und bald darauf auch in anderen deutschen Staaten aufgehoben.

Die Turnbewegung erlebte nun innerhalb weniger Jahre einen bedeutenden Aufschwung und wurde zu einer politischen Bewegung, in der sich die fortschrittlichen Kräfte, die nach Einheit und Freiheit des Vaterlandes strebten, zu Aktionsgruppen in den Turnvereinen zusammenfanden. Erhielten so die Vereine vielerorts den Charakter politischer Parteien, in denen das "geistige Turnen", das Ringen um gesellschaftliche und ethische Ziele dominierte, so waren die politischen Leitbilder recht unterschiedlich. Während die republikanisch gesinnten Turner am stärksten den Gleichheitsgedanken verfochten und deshalb entschlossen für die Beseitigung der Fürstenmacht eintraten, wollten die liberalen Demokraten zwar die Bevormundung durch staatliche Mächte abschütteln, aber ohne die Monarchie zu stürzen.

In der Sozialstruktur zeigte sich seit Aufhebung der Turnsperre eine bemerkenswerte Veränderung: Während das Jahnsche Turnen bis 1819 hauptsächlich von Schülern und Studenten getragen wurde, traten in neugegründete Vereine nach 1842 Angehörige aus kleinbürgerlichen Schichten ein, nach 1845 besonders aus den Kreisen der Handwerker, Gesellen und Arbeiter.

Von den republikanischen Turnern ging die Initiative aus, eine allgemeine deutsche Turnerschaft zu gründen In ihrem Plan heißt es unter § 2 : "Die deutsche Turnerschaft hat zum Zweck die sittliche und geistige Veredelung des deutschen Volkes, Mündigkeit, Pressefreiheit, kurz ein freies Deutschland auf dem Wege der Volkserziehung oder anderen einzuschlagenden nötigen Wegen."

So waren die Turner auch an der Revolution 1848/49 vor allem aus dem süddeutschem Raum aktiv beteiligt. Es gab ganze Turnerbattaglions, die sich an den Kämpfen beteiligten. Doch nachdem die Revolution niedergeschlagen wurde, wurden viele Turnvereine unter dem Druck der Reaktion aufgelöst oder polizeistaatlich überwacht. Zahlreiche Turner emigrierten in den kommenden Jahren nach Amerika, wo sie sich weiterhin aktiv für eine demokratische Gesellschaftsordnung einsetzten.

Arbeitersolarität kontra Kaisertreue

Waren die demokratischen Turner in der Revolution und dann in der amerikanischen Emigration für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Fortschritt eingetreten, so mußten sie sich ab 1871 zum preussisch-deutschen Kaiserreich verhalten, der zwar die von ihnen ersehnte Einheit machtpolitisch repräsentierte, nicht aber eine gerechte und soziale, demokratische Ordnung.

Der Kaiserkult der Deutschen Turnerschaft, welche sich 1868 gegründet hatte, mit ihrer Unterstützung der Bismarckschen Innenpolitik im Kampf gegen die Sozialdemokratie, veranlaßte viele zur Arbeiterschaft gehörende Turner aus der Deutschen Turnerschaft auszutreten und 1893 den Arbeiterturnerbund zu gründen.

Für die Deutsche Turnerschaft war die Wehrerziehung ein Mittel einer umfassenden Volkserziehung, das heißt eine nationalpolitische Aufgabe, ausgerichtet auf das Leitbild kraftvoller und disziplinierter Männlichkeit. Wehrerziehung sollte in Berufung auf Jahnsche Tradition, Vorbereitung auf den Militärdienst sein. In Konsequenz dieser nationalen Ideologie wurde von vielen Turnern der Krieg 1870/71 als Bewährungsprobe turnerischer Zucht und Willenskraft angesehen. Während sich bei der Deutschen Turnerschaft, die von der Größe und Macht des Reiches berauscht war, die früher gezogene Grenze zum Militarismus allmählich verwischte, beharrte der Arbeiterturnerbund auf seine demokratischen Prinzipien und verblieb in Oppositionshaltung gegenüber dem Kaiserstaat.

Der Staat witterte in den Arbeiterturnvereinen die Keimzellen der sozialdemokratischen Bewegung und versuchte alles in seiner Macht stehende, den Zulauf vor allem der jüngeren Mitglieder zu verhindern.

Infolge ihres beharrlichen Eintretens für die Wehrertüchtigung erreichte die Deutsche Turnerschaft 1891 mit der Gründung des weitgehend von ihr getragenen "Zentralausschusses für Volks- und Jugendspiele" eine Koordinierung aller Wehrfragen und eine Aktivierung des Wehrbewußtseins. Höhepunkt war 1911 der Eintritt in den paramilitärischen "Jungdeutschlandbund".

Die Auseinandersetzungen zwischen dem DT und dem Arbeiterturnerbund verschärften sich bis zum Beginn des I. Weltkrieges enorm, welche nur zu Kriegszeiten beigelegt wurden. Nach Beendigung des Krieges brachen die alten Feindschaften mit unverminderter Härte wieder auf. Der Deutsche Turnerbund ging sogar soweit, für die Niederlage Deutschlands die "inneren Feinde" verantwortlich zu machen.

Der Arbeiterturnerbund erlebte während der Weimarer Republik eine Renaissance, schien doch der obrigkeitshörige Staat besiegt und ein Wiederanknüpfen an alte demokratische Prinzipien möglich.

Für die DT ging es unter dem Wortführer Edmund Neuendorff aber schon bald in Richtung ein Volk, ein Führer dem Nationalsozialismus entgegen. !933 schrieb Neuendorff an Hitler, er möge die DT als eigenen nationalen Verband anerkennen. "Seite an Seite mit SA und Stahlhelm" wolle die Turnerschaft, von Juden und Marxisten befreit, den "Vormarsch ins Dritte Reich" antreten.

So stolperten die Turner der Auflösung ihrer eigenen Organisation entgegen. 1936 wurde auf dem außerordentlichen Turntag am 18.4. aus dem DT das Fachamt für Geräteturnen, Gymnastik und Sommerspiele. Aus einer ehemalig selbständigen organisierten Struktur wude ein zentralistisch autoritärer Verband.

Der Arbeiterturnerbund, welcher sich noch 1931 kritisch mit den Parallelen zwischen Jahnschem und nationalsozialistischem Gedankengut auseinandersetzte, wurde 1933 aufgelöst und zum Schweigen gebracht.

Neubeginn nach 1945

Es gehörte zu den verheißungsvollen Zeichen eines Neubeginns nach 1945, daß in freier Entscheidung auf demokratischer Grundlage der Deutsche Sportbund (DSB) am 10.12.1950 in Hannover gegründet wurde, ein freiwilliger Zusammenschluß aller Turn- und Sportverbände der BRD, in dem Persönlichkeiten der verschiedenen weltanschaulich- politischen Richtungen zusammenarbeiten und auch ehemalige führende Arbeitersportler Führungspositionen übernehmen konnten. Damit war nach den zurückliegenden Jahren erbitterter Agitation und Polemik wieder eine friedvolle Kooperation im Turnerlager möglich.

Heute leisten die Turnvereine mit ihrer Selbstorganisation einen wichtigen gesellschaftspolitischen Beitrag. Eine Gemeinschaft, die sich selber organisiert, verwaltet und trägt und einen unschätzbaren Wert für das Lebensgefühl ihrer Mitglieder leistet. Nicht nur leistungsorientiert, sondern jede und jeden nach seinen Neigungen und Talenten fördern, ob Kinder,Jugendliche, Frauen oder Senioren, so lebt der Verein für und von seinen aktiven Mitgliedern.